Freitag, 16. Juli 2010

Erinnerungen an die gute alte Zeit


Der Spionageskandal in den Vereinigten Staaten hat vor einer Woche ein unerwartet schnelles Ende gefunden. Zehn verhaftete Personen haben sich schuldig bekannt, als nichtregistrierte Vertreter eines fremden Staates tätig gewesen zu sein; acht davon haben ferner zugegeben, unter falscher Identität gelebt zu haben. Auf die Stars der Affäre - Anna Chapman, Vika Pelaes und Michail Semenko - traf dies freilich nicht zu und es sind gerade diese beiden, wo die Beweise für die behauptete Agententätigkeit am dünnsten waren und wohl nur durch agents provocateurs des FBI gewonnen werden konnten.
Die Gründe für das schnelle Ende waren vielfältig: Die amerikanische Regierung hatte wohl kein Interesse an einem langwierigen Gerichtsverfahren, dessen Publizität in keinem Verhältnis zum verhandelten Straftatbestand gestanden hätte. Zudem wären darin unweigerlich Details aus der Arbeit der US-Nachrichtendienste offenbart worden. Letzteres wäre besonders pikant gewesen, sollen doch die entscheidenden Tips von einem ehemaligen GRU-Offizier gekommen sein, der vor zehn Jahren desertiert ist. Und die Gerichtsfestigkeit der Beweise dürfte z.T. zweifelhaft gewesen sein.

(In dieser Woche ist aber noch ein mysteriöser zwölfter "Spion" auf- und gleich wieder abgetaucht, dessen Geschichte wiederum Zweifel hinsichtlich der politischen Absichten weckt.)

Im übrigen verweise ich auf diesen Artikel der Washington Post, in dem u.a. dargelegt wird, daß die Festnahme einer langwierigen Vorbereitung, auch auf höchster Ebene, vorausging. Sonach könnte die Herbeiführung eines Agentenaustausches von Beginn an der eigentliche Zweck der Aktion gewesen sein, wobei in der RF wohl überraschend wenige verurteilte Spione im Gefängnis sitzen. Die Verhandlungen über den Austausch wurden dann auf höchster Ebene zwischen den Direktoren von CIA und SWR, Leon Panetta und Michail Fradkow, geführt.

Während die zehn, ausweislich der Anklage, keine Spionage betrieben haben, sieht das bei den vier Russen, gegen die sie ausgetauscht worden sind, schon anders aus. Drei davon sind ehemalige Nachrichtendienstoffiziere (Alexander Saporoschskij, Sergej Skripal und Gennadij Wassilenko), wovon einer für den MI-6 und zwei für die CIA gearbeitet haben.

Der vierte, Igor Sutjagin, ist ein Sonderfall. Er gibt zu, in seiner Funktion als Wissenschaftler verteidigungsrelevante Informationen seines Heimatlandes gesammelt und an eine britische Firma verkauft zu haben. Während Staatsanwaltschaft und Gericht darin eine Tätigkeit für die CIA sahen und ihn verurteilt haben, hat er immer behauptet, diese Informationen seien nicht geheim und der Empfänger sei kein Nachrichtendienst gewesen. An dieser Geschichte haben der Mann und seine Verteidiger bis zuletzt festgehalten; sogar Amnesty International hat sich eingeschaltet und vermeintliche Menschenrechtsverletzungen beklagt.
Dennoch geben zwei Punkte zu denken. Erstens: Warum versank die ominöse, in London ansässige Beraterfirma in der Versenkung, nachdem Sutjagin angeklagt worden war? Alles nur Zufall? Und zweitens: Warum hätten die USA ihn als Austauschobjekt in einem 10:4-Tausch akzeptieren sollen, wenn er angeblich nur der Spionagemanie rußländischer Sicherheitsbehörden zum Opfer gefallen ist? Fazit eines Beobachters: "So we are left to interpret his freeing as either a human rights campaign by the US/UK negotiators or as a successful effort to “not leave a man behind.”"

Die von AI behauptete Zwangsexilierung liegt übrigens nicht vor; alle Ausgetauschten sind begnadigt worden, verfügen über gültige Pässe und könnten daher ohne weiteres in die RF zurückkehren - als freie Menschen, wohlgemerkt. Die zehn in den USA festgenommenen wurden erst einmal zu mehrtägigen Haftstrafen verurteilt, um daraufhin ausgewiesen zu werden. Sie erhielten zudem ein lebenslanges Einreiseverbot für die Vereinigten Staaten, ihr gesamtes Eigentum wurde eingezogen und alle Einahmen, die sie in den USA aus einer eventuellen Verfilmung ihrer "Abenteuer" erzielen könnten, sollen dem amerikanischen Staat zufallen.

Die Agentenaffäre hat sehr viel öffentliche Aufmerksamkeit gefunden, Erinnerungen an das Spionagegeschäft des Kalten Krieges wurden wach. Es war diese Öffentlichkeitswirkung und ihre interessante Eigendynamik, mit der sich Sean Guillory in zwei lesenswerten Artikeln (siehe hier und hier) beschäftigt. Das verdeutlicht auch der Fall von Anna Chapman, deren in London lebender Ex-Mann die Gelegenheit nutzte, um seine Gewesene öffentlich bloßzustellen, indem er nicht nur aus ihrem Eheleben plauderte, sondern auch Nackfotos von ihr publizieren ließ.

Was bleibt politisch von der Affäre? Vermutlich nichts. Die Medien konnten das Sommerloch mit reißerischen Stories füllen. Das FBI konnte zehn Jahre lang seine Agenten in der Beobachtung fremder Agenten schulen, deren Gefährlichkeit sich auf das Infilitrieren kleinstädtischer Gartenfeste beschränkte. Manche Kommentatoren veruschen daraus noch Kapital schlagen, indem sie auf der angeblichen Spionagebesessenheit der Russen herumreiten - als ob die Mitarbeiter von CIA, NSA & Co. den lieben langen Tag nur in der Nase bohren und sinnlose Spesen produzieren würden. Doch dergleichen wird hoffentlich niemand ernstnehmen. Ach ja, Miß Chapman wird sich wohl in eine Gerichtsschlacht mit ihrem Ex-Mann stürzen. Aber das ist nur noch ein Thema für die Boulevardpresse.



Weiterführende Links:

U.S. seized opportunity in arrests of Russian spies

Craving Cold War

The Lords Of The Ring

Are your barbecues breeding Bolsheviks?

Wer sind die vier US-Spione?

Agententausch unter Freunden

Bettering the World 14 Spies at a Time

And Then There Were Twelve

Spioniert Obama für Russland?

Spy Swap Photos, Coverage in Russia




Abschließend möchte ich noch einen Aspekt vertiefen, der mit dem oben bereits erwähnten Igor Sutjagin zusammenhängt. Die Angelegenheit ist wirklich kurios: Erst verkaufte er geheime Informationen an einen fremden Staat (konkret GB - wo er zukünftig leben wird - und/oder die USA) und als es ihm dafür an den Kragen gehen sollte, wurde die Menschenrechtskarte ausgespielt: Er sei ein unschuldig verfolgter Wissenschaftler, der in einem politisch motivierten Prozeß verurteilt worden sei. So ließ sich nicht nur Amnesty, sondern auch die von der US-Regierung finanzierte Organisation Freedom House, an deren Spitze ein ehemaliger CIA-Cef steht, vernehmen. Ljudmilla Alexejewa von der Moskauer Helsinki-Gruppe schimpfte über die "Spionomanie", der Sutjagin angeblich zum Opfer gefallen sei. Und dreimal darf man raten, wer an der Fianzierung der Helsinki-Gruppe maßgeblich beteiligt ist - richtig, die Regierungen der USA und des Vereinigten Königreichs.
Diese Idee ist geradezu genial - erst vertrauliche Informationen abschöpfen und dann den Informanten nach seiner Enttarnung als Symbol der "Unfreiheit" im Gefängnis vor sich hin rotten lassen.

Sutjagin ist nicht der einzige, bei dem nach diesem Strickmuster verfahren wurde. Der bekannteste ist wahrscheinlich Alexander Nikitin. Der Marineoffizier hatte Mitte der 1990er Jahre Unterlagen aus seiner Dienststelle entwendet und einer norwegischen Umweltschutzorganisation übergeben. Er hat dies auch nie bestritten, sondern darauf bestanden, daß diese Unterlagen nicht geheim gewesen seien. Nach mehreren Gerichtsverfahren wurde er schließlich freisgesprochen, weil das Strafrecht der RF insofern lückenhaft ist (wenn man es etwa mit dem deutschen vergleicht). Nikitins Beispiel hat Schule gemacht.
Nächster Fall: Grigorij Pasko, ebenfalls Marineoffizier. Er hatte für eine Militärzeitung gearbeitet und als geheim eingestuftes Material an Japan übergeben. Auch er bestreitet die ihm zur Last gelegten Handlungen nicht, sondern behauptet, es hätte sich nicht um Staatsgeheimnisse gehandelt. In seinem Fall haben sich die "Menschenrechtler" zusätzlich auf die Pressefreiheit berufen - wohl in dem Mißverständnis, daß Paskos Dienstpflichten als Staatsdiener durch seine Zeitungstätigkeit aufgehoben worden seien.
Oder Valentin Danilow. Der Physiker hatte Forschungsergebnisse von Geheimprojekten an China weitergegeben. Auch hier ist das Strickmuster wie gehabt: Die Tat an sich wird nicht bestritten, der Angeklagte behauptet nur, daß es keine Geheimnisse gewesen seien. Und wieder sind die unvermeidlichen Menschenrechtler zu seinen Gunsten aufgetreten.

(Ironischerweise sind es dieselben russischen "Liberalen" wie z.B. Julia Latynina, die jedem, der ihre bizarren Vorstellungen nicht teilt, unterstellen, er arbeite für rußländische Geheimdienste.)

Diese Befunde, die ich erst infolge des jüngsten Agentenskandals recherchiert habe, bestärken mich in meiner kritischen Haltung gegenüber der sog. russischen Opposition. Wenn man die Verlautbarungen von Memorial, der Helsinki-Gruppe u.a. liest, dann wird man als durchschnittlicher Deutscher viel hahnebüchenes feststellen. Das heißt nicht, daß es in der RF keine Menschenrechtsverletzungen gäbe! Mitnichten, dergleichen passiert in jedem Land (sonst hätte das deutsche BVerfG nichts zu tun). Aber die von diesen Gruppen hochgeschossenen Fälle von Landesverrätern sind nicht geeignet, auf tatsächlich vorhandene Bürgerrechtsprobleme hinzuweisen.

Die Verurteilten haben hoch gepokert und verloren. Pech gehabt, ich kann kein Mitleid mit einem Offizier empfinden, der aus seiner Dienststelle Unterlagen stiehlt, um sie einem fremden Staat zu übergeben. Daß man so etwas als Staatsdiener nicht tun darf, sollte sich von selbst verstehen. Es ist schon eine Weile her, als ich letztmalig eine Geheimhaltungserklärung unterschreiben mußte, doch soweit ich mich entsinne, ging deren Text sehr weit und läßt sich auf den Tenor bringen: Über alle dienstlichen Vorgänge ist - unter Strafandrohung - Stillschweigen zu bewahren. Punkt. Dies ist weder in Deutschland noch in Rußland eine Menschenrechtsverletzung, sondern gesunde Normalität. Eine öffentliche Verwaltung kann anders nicht funktionieren.



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Fotos: www.russiablog.org.
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