Donnerstag, 3. November 2011

Selbstladegewehre im Schießsport I


Anfang Oktober haben die Grünen und die ARD gemeinsam versucht, eine „Debatte“ loszutreten, deren Ziel in einer weiteren Verschärfung des deutschen Waffenrechts lag (siehe hier und hier). Diesmal haben die Politiker und Journalisten von Linksaußen die sportliche Verwendung von Selbstladegewehren aufs Korn genommen. Die politischen und rechtlichen Aspekte dieses neuerlichen Angriffs auf den freien Sport werden im zweiten Teil dieses Artikels thematisiert. Im folgenden soll es um die banale Frage gehen, warum derartige Waffen verwendet werden und wie diese Nutzung in den einzelnen Disziplinen der deutschen Schießsportverbände aussieht. Abschließend wird noch ein Blick ins Ausland geworfen.



Warum Selbstladewaffen im Schießsport?

Bisweilen hört man die Behauptung, das Sportschießen sei ein langweiliger Sport, in dem es auf absolute Ruhe und höchste Konzentration ankomme. Er käme somit fernöstlichen Konzentrationsübungen nahe. Für einige Disziplinen wie etwa die auf 50 m geschossene Freie Pistole trifft dies durchaus zu. Doch es gibt auch das Gegenteil: Disziplinen, in denen es um Geschwindigkeit geht – oder, besser formuliert, um die Kombination von Präzision und Dynamik. Denn im Sportschießen geht es immer um Ring- oder Punktzahlen, nie um ein wildes Herumballern.
Die in der Öffentlichkeit bekannteste derartige Disziplin dürfte Biathlon sein, auch wenn hier aus traditionellen Gründen keine Selbstlade-, sondern Repetiergewehre zum Einsatz kommen.

Eine zweite, die bereits seit den Anfängen im Jahr 1896 zum olympischen Programm gehört, ist die Schnellfeuerpistole. Hierbei werden von einem Wettkämpfer 60 Schuß in 5er Serien auf fünf Scheiben in einer Entfernung von 25 m abgegeben. Diese 5er Serien müssen jeweils viermal in 8, 6 und 4 Sekunden geschossen werden, d.h. für den Beschuß einer einzelnen Scheibe stehen (statistisch betrachtet) zwischen 1,6 und 0,8 Sekunden zur Verfügung. Der Weltrekord liegt seit 2006 bei 591 von 600 möglichen Ringen. Diese Bedingungen erfordern Sportler, die schnell reagieren können, die geistig und körperlich besonders wendig sind. Und sie erfordern – logischerweise – Pistolen, die ohne weiteres Zutun des Bedieners automatisch nachladen.

Eine weitere, von der Internationalen Schießsportföderation (ISSF) betreute Disziplin, die ebenfalls von der Kombination aus Präzision und Geschwindigkeit geprägt ist, ist die Standardpistole. Auch hier muß der Wettkämpfer 60 Schuß abgeben, davon viermal 5 Schuß in je 150 Sekunden, viermal 5 Schuß in je 20 Sekunden und viermal 5 Schuß in je 10 Sekunden. Der Weltrekord liegt derzeit bei 584 Ringen.

Mithin sind solche eher dynamischen Schießsportdisziplinen sowohl national als auch international seit weit über einem Jahrhundert etabliert, allerdings vorwiegend unter Verwendung von Kurzwaffen. Seit jedoch auch Selbstladelangwaffen für zivile Schützen verfügbar sind, werden sie ebenfalls sportlich genutzt. Wie genau dies in Deutschland aussieht, soll nachfolgend dargestellt werden.



Deutschland 1: BDS

Der 1974 gegründete Bund deutscher Sportschützen (BDS) bietet in seinem Standardprogramm zahlreiche Disziplinen für Selbstladegewehre in unterschiedlicher Ausführung und in verschiedenen Kalibern an. An dieser Stelle sollen nur drei Beispiele genannt werden.

Beim Intervallschießen auf 50 oder 100 m werden 30 Wertungsschüsse in 6 Serien zu jeweils 5 Schuß abgegeben. Für eine 5er Serie stehen 8 Sekunden Schießzeit zu Verfügung, dann folgen 12 Sekunden Pause und danach die nächste Serie.
Beim Schießen von Zeitserien, ebenfalls auf 50 oder 100 m, sind die ein wenig anders. Hier müssen die 30 Wertungsschüsse wie folgt abgegeben werden: 2 Serien zu je 5 Schuß in 40 Sekunden, 2 Serien zu je 5 Schuß in 30 Sekunden und 2 Serien zu je 5 Schuß in 20 Sekunden.
In der Disziplin „100 m Fertigkeit“ sind dreimal 10 Schuß in jeweils 40 Sekunden inklusive Magazinwechsel abzugeben.

Die Ergebnisse der diesjährigen Deutschen Meisterschaft des BDS in den verschiedenen Disziplinen können hier eingesehen werden. Im Rahmen des IPSC-Schießens werden vom BDS weitere Gewehrdisziplinen angeboten.



Deutschland 2: BDMP

Das Angebot des Bundes der Militär- und Polizeischützen (BDMP) ist etwas weniger umfangreich und beschränkt sich teilweise auf ehemalige Ordonnanzwaffen wie den im zweiten Weltkrieg berühmten US-Karabiner .30 M 1. Speziell für diese Waffe eine Disziplin geschaffen, bei der nur Waffen zugelassen sind, die weitgehend im Originalzustand belassen wurden. Der Wettkampf kann auf 25, 50 oder 100 m geschossen werden. In den Anschlagsarten liegend und kniend hat der Schütze jeweils 15 Wertungsschüsse in 15 Minuten (inklusive Probe) abzugeben.
Mit dem historischen .30 M1 werden auch an das internationale 1500-Match angelehnte dynamische Wettkämpfe mit unterschiedlichen Distanzen und Anschlägen ausgetragen. (Ausgangspunkt für die intensive sportliche Nutzung des alten amerikanischen Karabiners waren übrigens in den 1990er Jahren die Niederlande, wo es einen eigenen .30 M 1-Verband gibt.)

In der Disziplin „National Rifle Match A“ (DG3) können hingegen fast alle Zentralfeuer-Halbautomaten verwendet werden. Im Stehendanschlag stehen für zweimal 5 Schuß 5 Minuten zur Verfügung; in den Anschlagsarten kniend und liegend sind die 2 x 5 Wertungsschüsse in 50 bzw. 60 Sekunden abzugeben (inklusive Magazinwechsel).
Die Disziplin „Zielfernrohrgewehr 4“ wird auf 100 m geschossen, wobei Selbstladegewehre mit einem maximal zehnfach vergrößernden Zielfernrohr verwendet werden. Die 20 Wertungsschüsse sind in 4 Serien zu jeweils 5 Schuß abzugeben. Für jede 5er Serie stehen 8 Sekunden zur Verfügung.

Die Resultate der Deutschen Meisterschaften des BDMP der letzten Jahre sind hier zu finden, die Sportordnung hier.



Deutschland 3: DSB-Landesverbände

Der Deutsche Schützenbund (DSB) als größter Schießsportverband der BRD hat in seiner Bundessportordnung keine dezidierten Disziplinen für Selbstladegewehre ausgewiesen. Bei mehreren Landesverbänden ist das anders. Sie bieten über ihren als „Liste B“ titulierten Landessportordnungen Wettkämpfe sowohl für klein- als auch für großkalibrige Halbautomaten an. Nachfolgend sollen beispielhaft einige Disziplinen des Landesschützenverbandes Sachsen-Anhalt vorgestellt werden.

In der Disziplin „ST 1.6.7“ und „ST 1.6.8“ wird mit Selbstladegewehren im Kaliber .22 l.r. im Stehendanschlag auf 50 m entfernte Scheiben geschossen. Wahlweise wird eine offene Visierung oder ein Zielfernrohr verwendet. Der Schütze muß 8 Serien zu je 5 Wertungsschüssen abgeben, wobei für jede Serie 30 Sekunden zur Verfügung stehen.
Für die Disziplin „ST 1.8.3.2“ kommen Zentralfeuer-Selbstlader in einem Kaliber zwischen 6 und 8 mm zum Einsatz. Auf 100 m wird stehend angestrichen mit Zielfernrohr geschossen, wobei viermal 5 Wertungsschüsse in jeweils 5 Minuten abzufeuern sind.

Hier im Land werden nach den diversen Halbautomatendisziplinen zahlreiche Wettkämpfe veranstaltet. So z.B. der Polte-Pokal in Schönebeck, bei dem auch auf ein militärhistorisches Ambiente Wert gelegt wird oder der Pokalwettkampf in Dardesheim für die historischen .30 M1-Karabiner. Das Protokoll der Landesmeisterschaft 2011 kann hier heruntergeladen werden.

Nach dieser kurzen Darstellung der sportlichen Verwendung von Selbstladegewehren in Deutschland soll nun der Blick ins Ausland gerichtet werden, um einige der dortigen Disziplinen besser kennenzulernen.



Ausland 1: Schweiz

In der Eidgenossenschaft wird dem Schießwesen traditionell eine große Bedeutung beigemessen. Das ist nicht auf eine – im obrigkeitsstaatlich-deutschen Sinne verkürzte – Reservistenfortbildung zu reduzieren. Schießsportliche Veranstaltungen sollen vaterländischen Charakter tragen, wie es in Artikel 2 des Reglements über das Eidgenössische Feldschießen heißt. Bei diesem in der gesamten Schweiz zeitgleich ausgetragenen Wettkampf kommen nur Ordonnanzwaffen zum Einsatz. Teilnehmen kann jeder Bürger ab einem Lebensalter von 10 Jahren. Das Programm des Feldschießens besteht aus 18 Schuß auf 300 m. Diese sind wie folgt abzugeben: 6 Schuß in 6 Minuten (Übung 1), zweimal 3 Schüsse in je 60 Sekunden (Übung 2) und 6 Schüsse in 60 Sekunden (Übung 3).



Ausland 2: Norwegen

Auch in Norwegen unterstützt die Regierung den Schießsport zum Zwecke der Förderung der Verteidigungsbereitschaft. Dies ändert freilich nichts am zivilen und sportlichen Charakter der Wettkämpfe! Einer der Höhepunkte ist das alljährliche „Landsskytterstevnet“. Ebenso wie in der Schweiz kommen bei diesem Massenevent neben Repetier- vor allem Selbstladegewehre zum Einsatz. Hier sind z.B. aus allen drei Anschlagsarten (liegend, kniend, stehend) 5-Schuß-Serien unter Zeitbegrenzung auf 10, 15 und 25 Sekunden pro Serie abzugeben. Berichte von diesen Wettkämpfen sind u.a. hier und hier zu finden.



Ausland 3: USA

Das Civilian Marksmanship Program (CMP) bietet amerikanischen Sportschützen ein breites Spektrum an Leistungen an, wobei die Durchführung der alljährlichen „National Matches“ in verschiedenen Gewehr- und Pistolendisziplinen sicher den Höhepunkt darstellt. Langjähriger Direktor des CMP war übrigens der bekannte Sportschütze, zweifache Olympiasieger und ISSF-Vizepräsident Gary Andersen. Unter den verwendeten Gewehren nehmen amerikanische Ordonnanzwaffen oder deren zivile Derivate wie das M 1 Garand, das M 14 / M 1 A oder das M 16 / AR 15 einen hervorragenden Platz ein. In der Regel werden sie nur mit der standardmäßigen offenen Visierung geschossen.

In der Disziplin „National Trophy Individual Rifle Match“ werden mit diesen Waffen insgesamt 50 Wertungsschüsse abgegeben. Die ersten zehn auf 200 yards im stehenden Anschlag, danach 10 Schuß im sitzenden oder knienden Anschlag auf dieselbe Distanz in 60 Sekunden, drittens 10 Schuß liegend auf 300 yards in 70 Sekunden und schließlich 20 Schuß liegend auf 600 yards in 20 Minuten.
Im „President’s Rifle Match“, dessen Sieger ein Glückwunschschreiben des jeweiligen Präsidenten der Vereinigten Staaten erhält, ist der Ablauf wie folgt: 10 Schuß in 10 min auf 200 yards im Stehendanschlag, 10 Schuß auf 300 yards in 70 Sekunden (liegend) und 10 Schuß auf 600 yards in 10 Minuten (ebenfalls liegend).

An den CMP-Wettkämpfen kann sich jeder US-Bürger beteiligen. Das dabei in Anwendung kommende Regelwerk ist hier zu finden. Die Resultate der National Matches 2011 können hier eingesehen werden. Die dort erreichten Ringzahlen sind durchaus beeindruckend. So hat der Gesamtsieger der „National Trophy“ 498 von 500 möglichen Ringen errungen, der Sieger der „President's Rifle Trophy“ 295 von 300 möglichen. Und dies auf Distanzen weit jenseits der in Deutschland so hochgeschätzten 10 m, die in den Druckluftdisziplinen üblich sind.



Resümee

Dies verdeutlicht einmal mehr, daß sportliches Schnellfeuerschießen nichts mit „Herumballern“ oder „Waffenfetischismus“, wie von den Grünen unterstellt, zu tun hat. Vielmehr geht es um die Herausbildung eines agilen, reaktionsschnellen Sportsmannes. Ob dieses Ziel freilich einer politischen Partei, deren führende Mitglieder bisweilen enge Kontakte zum Drogenmilieu unterhalten (haben), begreiflich zu machen ist, darf bezweifelt werden. Schließlich führt der Konsum von Cannabis zur gegenteiligen Wirkung: das Reaktionsvermögen wird herabgesetzt, anstatt klar zu sehen kommt es zu Halluzinationen. (Möglicherweise ist das der von den Grünen favorisierte Idealzustand der Menschheit?)

Die politischen Überlegungen sollen hier abgebrochen und im zweiten Teil, der voraussichtlich übermorgen erscheinen wird, fortgesetzt werden. Vorliegend gilt es als Zwischenfazit festzuhalten, daß sowohl in Deutschland als auch im Ausland interessante und z.T. äußerst anspruchsvolle Disziplinen für das sportliche Schießen mit Selbstladegewehren angeboten werden. Am sportlichen Charakter dieser Veranstaltungen kann wohl kein unvoreingenommener Beobachter ernsthaft zweifeln, es sei denn, er hielte alle nicht-olympischen Schießdisziplinen (und das ist der weitaus größte Teil!) für „schmückendes Beiwerk“ oder „Operettendisziplinen“. Für eine derartige Engführung gibt es allerdings in einer freien Gesellschaft keinen nachvollziehbaren Grund.



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Fotos: lv-mv.bdmp.de, cmp1.zenfolio.com, durrers.ch, www.jungfrauzeitung.ch, www.glarus24.ch.
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